Wie entsteht eigentlich Alkoholsucht oder Suchtentwicklung generell? Liegt es am individuellen Milieu in dem sich die Menschen befinden? Sind es nur Sozialversager oder kann eigentlich wirklich jeder der Alkoholsucht verfallen? In einem vorhergehenden Blogartikel haben wir uns allgemein mit der Frage beantwortet, was überhaupt eine Alkoholsucht ist. Die neuen Fragen stellen wir uns in diesem Blogartikel.
(Umwelt) Faktoren der Suchtentwicklung
Freilig spielt das Umfeld, in dem man sich bewegt, eine große Rolle bei der Suchtentwicklung. Wer viel Zeit mit Menschen verbringt, die Alkohol konsumieren, für den ist es auch ganz normal Alkohol zu konsumieren. Wenn dabei dann Verhaltensmuster auftreten, die schädlich sind, aber von dem Umfeld gewürdigt oder akzeptiert werden, steht dem Weg zur Alkoholsucht eigentlich nur noch wenig im Wege. Aber das Umfeld erklärt noch nicht komplett, warum sich bei dem einen eine Sucht entwickelt und bei dem anderen nicht.
Ein weiterer Faktor wird die genetische Prädisposition sein, also eine gewisse Veranlagung dafür, ob man eine Sucht entwickelt, oder ob man keine Sucht entwickelt. Die Gene spielen scheinbar auch bei der Suchtentwicklung eine große Rolle. Sie soll gemäß manchen Studien zu 40% – 60% (Wernicke, 2005) an der Suchtentwicklung beteiligt sein. Wenn die Genetik eine Rolle spielt, kommt immer auch die Frage auf, ob es dann möglich sein könnte, einen Menschen vor der Entwicklung einer Sucht, als suchtgefährdet zu erkennen und ihn durch entsprechende Maßnahmen zu unterstützen. Wenngleich dies natürlich auch in der Forschung auf großes Interesse stößt, zeigen sich noch keine wirklich verlässlichen Ergebnisse. Denkbar wäre beispielsweise, dass es eine unzureichende Aktivität des Belohnungszentrums im Gehirn suchtgefährdeter Menschen gibt. Diese versuchen sich, die fehlende Grundbelohnung, durch den Genuss von Alkohol zuzuführen. Es wären allerdings auch Veränderungen in alkoholabbauenden Enzymen denkbar. Gerade in diesem Bereich wird noch viel geforscht und der Weisheit letzter Schluss ist noch nicht gefallen.
Lernpsychologische Erklärungsansätze
Lerntheoretisch wirkt Alkohol als operanter Verstärker. Er erhöht also die Häufigkeit eines bestimmten Verhaltens, weil die Person positive Erfahrungen damit gemacht hat. Er greift zur Flasche, setzt sie an und nimmt einen Schluck. Mit jedem Schluck erlebt er die für ihn positiven Effekte des Alkohols und spürt, wie er sich weniger Sorgen macht und einfach gelöster ist. Dieses Gefühl verstärkt dann wiederum den Konsum, wodurch das Verhalten häufiger gezeigt wird. Der, häufig am nächsten Tag, erlebte Kater kann ebenfalls mit mehr Alkohol bekämpft werden. Das bekannte Konterbier wirkt hier ebenfalls verstärkend. Der Griff zur Flasche vermindert die Schmerzen und die schlechten Gefühle gehen schnell weg.
Schwieriger zu erklären ist auf diese Weise jedoch, warum die aversiven, also die unangenehmen Effekte, nicht die positiven Effekte überwiegen. So kommt doch so gut wie jeder Alkoholkonsument früher oder später in eine unangenehme Lage. Er blamiert sich vor seinen Freunden oder vor Fremden. In meinem Bekanntenkreis gab es einige, die ihre Kleidung im Suff zerrissen hatten, sich prügelten oder ausgeraubt wurden. All diese negativen Ergebnisse waren, auch durch die Bekannten selbst, auf den Alkohol zurückzuführen. Warum übersteigen diese durchaus negativen Effekte nicht die positiven Effekte, die der Alkoholkonsum mit sich führt?
Auch hier lässt sich mit Sicherheit wieder das Umfeld anführen. Im alten Sparta gab es die Syssitia. Die Syssitia lässt sich am Besten mit „Tischgemeinschaft“ übersetzen und war eine Voraussetzung um die vollen Bürgerrechte zu erhalten. Die Männer mussten sich abends jeden Tag in die Tischgemeinschaft einfinden. Dort wurde gegessen und getrunken, getanzt und gesungen. Es erinnert also in einer gewissen Weise an einen feucht fröhlichen Abend, wie wir ihn heute kennen. Doch in der Syssitia gab es einen großen Unterschied. Es wurde als unmännlich und schändlich gesehen, betrunken zu sein. Den jungen Teilnehmern wurde zumeist bei ihrer ersten Teilnahme viel Alkohol eingeflößt, um ihnen zu zeigen welche negativen Folgen aus einem hohen Alkoholkonsum folgten. In dem Umfeld der Syssitia wurde das peinliche Verhalten als Schwäche interpretiert. Als etwas angesehen, dass von Unreife zeugt und abzulegen ist. Ein Spartiat hat immer die Kontrolle über sein Leben zu haben. In diesem Umfeld waren die peinlichen Effekte des Alkohols somit stark geächtet. Ich bin also verleitet die These aufzustellen, dass die lerntheoretischen Ansätze der Suchtentwicklung nicht solch einen großen Einfluss hätten. Wenngleich ich diese These niemals werde belegen können.
Schaue ich mir jedoch an, wie in meinem Umfeld mit sogenannten „Suffgeschichten“ umgegangen wird, zeigt sich ein nahezu gegenteiliger Umfang. Das erzählen der Geschichten wird zumeist mit schallendem Gelächter aufgenommen. Die Zuhörer hängen geradezu an den Lippen des Erzählers und es wird ihm nicht einmal das Gefühl gegeben, dass er sich für das Getane schämen müsse. Je krasser und eigentlich peinlicher die Dinge sind, die er angestellt hat, desto lauter wird gelacht und sich gefreut. In diesem Umfeld ist es für mich nicht verwunderlich, warum die aversiven Effekte des Alkoholkonsums nicht die positiven Effekte übersteigen, um einer Suchtentwicklung entgegenzuwirken.
Zusammenfassung Suchtentwicklung bei Alkohol
Ob jemand eine Alkoholsucht entwickelt oder nicht, ist also abhängig von vielen Faktoren. Zum einen muss er über eine gewisse genetische Prädisposition verfügen. Er muss also entweder sonst in seinem Leben zu wenig Aktivität oder Glück erleben um dies mit Alkohol zu substituieren oder er hat besonders effektive alkoholabbauende Enzyme, sodass der Alkohol weniger negative Entzugserscheinungen erzeugen kann. Darüber hinaus kommt es zu großen Teilen auf das Umfeld des Konsumenten an. Ist er besonders achtsam und versucht den Alkoholkonsum zusammen mit dem Konsumenten zu regulieren, wird eine Suchtentwicklung deutlich erschwert. Zu guter letzt sind die lernpsychologischen Effekte des Alkohols nicht zu vernachlässigen. Wer trinkt, erlebt die Verbindung zwischen Alkoholkonsum und den als positiv erlebten Effekten des Alkohols kontinuierlich. Hier ließe sich natürlich durch Aversionstherapien eingreifen, indem man die Effekte, die Alkohol hat, medikamentös verändert und als stark aversiv erscheinen lässt.
Über die Therapie von Alkoholsucht, sowohl therapeutisch als auch medikamentös, werde ich allerdings erst in einem anderen Blogartikel zu sprechen kommen, falls euch die letzten Blogartikel gefallen haben sollten. Suchtentwicklung ist ein Thema, was uns alle betrifft. Wir sollten unser Wissen dafür nutzen, auf unsere Lieben zu achten und ein Gespräch mit ihnen suchen, wenn wir uns Sorgen um sie machen. Auch wenn nichts ist, weiß das Gegenüber, dass man ihn wertschätzt und nur das Beste für ihn möchte.
Wenn ihr mehr über klinische Psychologie erfahren wollt, kann ich euch folgendes Buch ans Herz legen:
Psychische Störungen: Symptomatologie, Erklärungsansätze, Therapie
Quellen:
Wernicke, C. (2005). Genetische Aspekte der Alkoholerkrankung. Biospektrum, 11, 389-392.