Händewaschen Zwangsstörung

Zwangsstörung : Eine kleine Einführung

Alltagszwänge – Hast du eine Zwangsstörung?

Im vergangenen Sommer habe ich einen Urlaub am Königssee gemacht. Mein Ziel war es, mein Handy eine Woche lang nicht wie einen siamesischen Zwilling ständig an meiner Seite zu haben, sondern mich ein wenig mit mir selbst auseinanderzusetzen. Im Zuge meiner Urlaubsplanung habe ich mir eine Liste mit den Sachen gemacht, die ich für den Urlaub benötige. Wanderschuhe, Wechselklamotten und alles andere, was man halt für einen „aktiven Urlaub“ in den Bergen braucht. Als ich endlich auf der Autobahn Richtung Königsee war schießt mir ein Gedanke in den Kopf: << Habe ich eigentlich meine Haustür abgeschlossen? >> . Ein leichtes Gefühl der Panik macht sich in meiner Magenregion bemerkbar. Nachdem ich meinen Morgen akribisch und chronologisch vom Aufstehen bis zum Einstieg ins Auto durchgegangen bin, kam ich zu dem Entschluss, dass ich abgeschlossen habe. Vielleicht habe ich es mir auch ein wenig eingeredet, weil ich es eigentlich nie verplane meine Tür abzuschließen. Trotzdem rief ich meinen Nachbarn am Abend an und schickte ihn kurz mal vor meine Tür. Sie war abgeschlossen. Habe ich nun eine Zwangsstörung?

Nein, ich hatte lediglich vergessen ob ich eine, für mich wichtige, Handlung durchgeführt habe. Die Konsequenz einer nicht abgeschlossenen Haustür wäre, dass jemand fremdes Zugang zu meiner Wohnung hat und sogar was klauen könnte. Wenn uns irgendwas wichtig ist, neigen wir dazu sorgfältiger zu planen und wollen alles unter Kontrolle haben. Umso relevanter eine Handlung für uns ist, desto sorgfältiger und intensiver planen wir diese. Dies ist vor allem der Fall, wenn es sich um eine Handlung handelt, die nicht in unserem Alltag integriert ist. So gesehen ist diese Sorgfalt ziemlich nützlich, weil wir damit nicht Hals über Kopf, sondern eher überlegt und mit einer gewissen Vorsicht an ungewohnte Situationen herangehen. Eine Gemeinsamkeit hat das Auftauchen von meinem Gedanken über meine Haustür allerdings mit einer Zwangsstörung: der Gedanke drängte sich von selbst auf.

Zwangsgedanken, -handlungen und -impulse

Die Zwangsstörung ist gekennzeichnet durch wiederkehrende Zwangsgedanken und Zwangshandlungen. Die Zwangsgedanken kommen in verschiedenen Äußerungen vor. Es gibt einerseits Zwangsvorstellungen, die in Bildern auftreten können. Der Inhalt dieser Bilder variiert von Person zu Person. Eines haben diese Zwangsvorstellungen jedoch gemeinsam und zwar drängen sie sich immer wieder auf und werden als sehr unangenehm empfunden.

Weiterhin gibt es die sogenannten Zwangsimpulse. Diese sind ein innerer Drang, bestimmte Handlungen auszuführen. Diese Handlungen sind meist aggressiver oder sexueller Natur. Es bleibt aber bei dem Drang und sie werden nicht ausgeführt! Zu den Zwangsgedanken zählt dann noch das Zwangsgrübeln.

Ich liege ab und zu nachts in meinem Bett und denke über alles und nichts nach. Ich grüble vor mich hin. Ich denke, dass jeder mal ins Grübeln kommt. Gerade wenn es Sachen im Leben gibt, die einen sehr beschäftigen. Die anstehende Klausur. Ein Streit mit dem Partner. Die Scheibenwischer, die eigentlich schon vor Monaten ausgetauscht werden sollten. So lange diese Gedanken sich nicht hartnäckig aufdrängen und man sich nicht ständig mit nebensächlichen Problemen beschäftigt, ist das ganz normales Gedanken machen oder Grübeln.

Zwangshandlung als Reaktion auf Zwangsgedanken

Zwangshandlungen können als eine Art mentales Ventil für Zwangsgedanken verstanden werden. Oder als Reaktion auf Zwangsgedanken. Die Zwangshandlungen sollen die Anspannungen, die durch Zwangsgedanken produziert werden, lindern. Das Interessante an den Zwangshandlungen ist, dass die betroffenen Personen nicht einfach irgendwas machen, sondern jede Handlung wird anhand eines akribischen Ablaufes ausgeübt. Es herrschen bestimmte Regeln. Die Hände werden nicht einfach gewaschen. Die Hände werden über einen bestimmten Zeitraum, mehrmals am Tag gründlichst gereinigt. Leute, die unter einem Waschzwang leiden, tun dies, weil sie sich vor etwas Schützen wollen. Vor Infektionen, wie zum Beispiel HIV, vor Schadstoffen oder anderen Dingen. Hierbei bleibt es nicht nur beim Händewaschen. Der Kontakt zu Türklinken, unreinen Oberflächen, Fahrkartenautomaten, Handläufen usw. wird vermieden. Zum Waschen der Hände reicht auch keine normale Seife mehr, sondern man bedient sich echt starkem Zeug. Es ist nicht selten, dass dadurch sogar starke Verletzungen an den Händen entstehen.
Das traurige an der ganzen Sache mit den Zwangshandlungen ist, dass die Betroffenen sich diesem Drängen nur schwer oder gar nicht widersetzen können. Der Haken an der Sache ist, wenn eine zwangskranke Person eine Zwangshandlung ausübt erlebt sie, zwar nur kurzfristig, eine starke Verringerung der Anspannung. Die Zwangshandlungen sind quasi eine Art Coping-Mechanismus, um mit den Zwangsgedanken klar zu kommen. Die Betroffenen fühlen sich nach der Ausführung der Handlung zwar nicht wie neu geboren oder besonders gut, aber immerhin besser als vor der Ausübung.

Diagnose: Zwangsstörung

Welche Symptome müssen denn nun auftreten, damit eine Zwangsstörung diagnostiziert werden kann? Die International Classification of Diseases (ICD-10) stellt eine Reihe von Kriterien auf, die erfüllt werden müssen damit Ärzte und Psychotherapeuten eine Zwangsstörung diagnostizieren können.

Kurz zur Wiederholung: als Kernmerkmal der Störung gelten wiederkehrende Zwangsgedanken und Zwangshandlungen.

  • Die betroffene Person muss die Symptome als eigene Gedanken und Impulse anerkennen.
    Es muss einem Gedanken oder einer Handlung aktiv Widerstand geleistet werden.
  • Die betroffene Person darf die auftretenden Gedanken und Handlungen nicht als angenehm empfinden.
  • Die Gedanken, Impulse oder Vorstellungen müssen sich wiederholen. Auf eine unangenehme Art und Weise.
  • Die auftretenden Symptome dürfen nicht als Symptome der zwanghaften Persönlichkeitsstörung sein.

Diese Anzeichen oder Kriterien scheinen auf den ersten Blick ja ziemlich eindeutig zu sein. Aber die traurige Tatsache ist, dass viele Leute, die unter Zwangsstörungen leiden, oft jahrelang keine Hilfe bekommen. Es kommt häufig vor, dass die Zwangsstörung erst ans Licht kommt, wenn die betroffene Person aufgrund eines anderen Problems Hilfe aufsucht. Depressive Symptome treten häufig als Begleiterscheinung auf. Was die ganze Sache nicht erleichtert ist, dass die Patienten oft nicht aus eigenem Antrieb über die Zwangssymptome sprechen. Abgesehen von pathologischen Begleiterscheinungen sind Zwangsstörungen auch sehr eng mit Schamgefühlen verbunden.

Die verschiedenen Erscheinungsformen der Zwangsstörung

Die bekanntesten Erscheinungen der Zwangsstörung sind Kontroll- und Waschzwänge. Diese sind auch gleichzeitig die Erscheinungen, die am häufigsten auftreten. Sicherlich kennt jeder jemanden, der super ordentlich ist. Immer wenn man zu Besuch kommt ist alles penibel aufgeräumt. Es liegt keine dreckige Wäsche neben dem Wäschekorb. In der Küche steht kein Abwasch und der Mülleimer ist auch immer schön leer und sauber. Alles hat seinen Platz und selbst nach akribischen Suchen findet man einfach keine Asymmetrien in der Wohnung. Eine ausgeprägte Liebe für Ordnung und Sauberkeit hat ungefähr so viel mit Zwangsstörungen zu tun wie Pietro Lombardi mit dem Nobelpreis für Literatur.

Bei Waschzwängen haben die Betroffenen Angst vor Ansteckungen aller Art. Sie üben Waschrituale aus, meiden den Kontakt mit „kontaminierten“ Dingen. Wie diese Rituale strukturiert sind und wie lange sie dauern variiert von Person zu Person. Hierbei ist wichtig, wie genau der Wasserhahn betätigt wird. Wann der Seifenspender zum Einsatz kommt. Wieviel Seife genutzt wird. Wie die Hände dabei bewegt und gehalten werden. Jedes einzelne Detail spielt eine wichtige Rolle in diesen Ritualen.

Wer unter Kontrollzwängen leidet, hat schreckliche Angst davor, dass die eigenen (vermeintlichen) Fehler schwerwiegende Folgen verursachen. Zum Beispiel kann man Angst davor haben, dass sich jemand aus dem Fenster der eigenen Wohnung stürzen könnte, wenn man nicht das Fenster ständig und ritualisiert kontrolliert. Das ist schon eine krasse Angst. Betroffene können manchmal auch gar nicht sagen wovor sie Angst haben. Sie haben halt den Drang zu kontrollieren. Sich zu vergewissern, dass alles in Ordnung ist.

Zwangsstörungen werden im allgemeinen Sprachgebrauch oft verfälscht dargestellt. Dieser Artikel soll einen kleinen Einblick in das Störungsbild bieten. Wir von der Psychoffensive versuche mit unseren Beiträgen nicht nur ein bisschen Wissen in die Welt zu bringen, sondern auch den Betroffenen gerecht zu werden. Wenn man nicht selber unter einer psychischen Störung leidet kann man sich nur schwer vorstellen, was das eigentlich bedeutet. Deswegen bedanken wir uns an dieser Stelle, dass Du (!), unser Leser, dich für diese Thematiken interessierst und uns dabei hilfst den Vorurteilen und falschen Überzeugungen den Kampf anzusagen!

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