Zeitgefühl

Verändert sich das Zeitgefühl im Alter?

In letzter Zeit sehe ich auf Facebook immer öfter diese Posts, wo drin steht wie lange jemand schon mit einer anderen Person befreundet ist. In den Kommentaren unter diesen Posts steht meistens etwas darüber, wie erstaunt die Leute sind, dass schon so viel Zeit ins Land gezogen ist. Ich kann mich aber auch noch gut an meine Kindheit erinnern, wo die letzten Tage vor Weihnachten mir wie eine Ewigkeit vorkamen. In den letzten Jahren habe ich mich eher gefragt, wie es sein kann, dass plötzlich schon der 22. Dezember ist und ich immer noch keine Geschenke gekauft habe. Mir kommt es auch ab und zu so vor, als würde die Zeit an mir vorbei rasen. Verändert sich unser Zeitgefühl je älter wir werden, oder spielen da ganz andere Faktoren eine Rolle?

Die Veränderung unseres Zeitgefühls

2005 stellten sich Marc Wittmann und Sandra Lehnhoff die Frage, ob sich die Wahrnehmung von Zeit tatsächlich mit voranschreitendem Alter verändert. In ihrer Studie Age effects in perception of time haben sie knapp 500 Versuchspersonen, im Alter von 14 bis 94 Jahren, dazu befragt, wie diese ihr Zeitgefühl einschätzen. Dazu wurden ihnen mehrere Fragebögen ausgeteilt. Die Antwortmöglichkeiten wurden anhand einer Likert-Skala dargestellt. Die Versuchspersonen konnten dann zu jeder Frage ankreuzen, ob die Zeit „sehr langsam“ bis „sehr schnell“ verging.

Interessanterweise stellte sich heraus, dass es nur einen ziemlich schwachen Zusammenhang zwischen dem Alter und dem individuellen Zeitgefühl gibt. Lediglich bei der Frage „Wie schnell sind die letzten 10 Jahre für sie vorbei gegangen?“ gab es eine leichte Tendenz dafür, dass die Leute ab 50 Jahre das Vergehen der Zeit schneller einschätzen. Bei kleineren Zeitintervallen hingegen, gab es keine Unterschiede zwischen den verschiedenen Altersgruppen.

Die Versuchspersonen haben sich in einem Bereich der Befragung mit Metaphern auseinandersetzen müssen. Hier haben viele der 20 bis 59 Jährige Aussagen angekreuzt, die mit Zeitdruck zu tun hatten. Die Autoren der Studie, Wittmann und Lehnhoff, führen diesen Effekt darauf zurück, dass die Menschen in dieser Altersspanne beruflich und familiär viel um die Ohren hätten. Da fühle man sich schon mal so, als hätte der Tag zu wenig Stunden.

William Friedman und Steve Jansen haben 2010 auf den Ergebnissen von Wittmann und Lehnhof aufgebaut. In ihrer Studie Aging and the speed of time habe sie 49 Studenten und 50 Erwachsenen, im Alter von 60 bis 8, mehrere Ereignisse aufgezählt, über die in der Vergangenheit in den Nachrichten berichtet wurde. Die Versuchspersonen sollten dann angeben, wann dieses Ereignis stattfand und wie gut sie sich daran erinnern können.

Die Ergebnisse zeigen, dass alle Versuchspersonen sich sehr gut an die Ereignisse erinnern konnten. Die Gruppe der Studenten hat sich allerdings öfter verschätzt bei der Frage, wie viel Zeit seit dem Ereignis vergangen ist. Das Zeitgefühl beider Gruppen hat sich, wie in der Studie von Wittmann und Lehnhoff, bei der Einschätzung von kleineren Zeitintervallen (Stunden, Wochen, Monate) nicht unterschieden.

Zeitdruck und Zeitgefühl

Um das Thema „Zeitdruck“ im Zusammenhang mit dem erlebten Zeitgefühl zu untersuchen, haben die Forscher Friedman, Jansen und Makiko Naka in ihrer Studie Why does life appear to speed up as people older? von 2013 über 850 Personen befragt. Die Forscher haben dabei herausgefunden, dass kleinere Zeitintervalle schneller für die Personen vergingen, die zum Zeitpunkt der Befragung Zeitdruck empfanden. Die Leute, die in den letzten 10 Jahren Zeitdruck hatten, haben auch das Vergehen der Zeit, in diesem Zeitraum, als schneller eingeschätzt.

Was kann man jetzt aus diesen Forschungen schlussfolgern?

Einerseits scheint die Zeit schneller zu vergehen, wenn wir Zeitdruck haben. Dabei gibt es wohl auch keine Unterschiede zwischen verschiedenen Kulturen.

Es gibt keine konkreten Antworten auf die Frage warum das so ist. Es gibt aber mehrere theoretische Ansätze, die die Fragen zu beantworten versuchen (was wäre bloß die Psychologie ohne diese schönen Erklärungsansätze?).

Die vergangene Zeit im Vergleich zu dem Alter einer Person
Ein Jahr im Leben eines 8-jährigen ist ein ziemlich großer Anteil seines Lebens. Im Vergleich zu einem 70-jährigen ist das aber ziemlich wenig. Wir tendieren also dazu, bestimmte Zeitintervalle mit der Gesamtanzahl der Jahre zu vergleichen, die wir bereits erlebt haben.

Je älter wir werden, desto weniger achten wir auf die Zeit
Als ich klein war und die Tage vor Weihnachten gezählt habe, freute ich mich über jede Stunde, die endlich vergangen ist. Heute denke ich eher daran, wann ich die nächste Klausur schreiben muss, dass ich meine Rechnungen rechtzeitig bezahle, dass ich pünktlich zu Verabredungen erscheine und bis wann ich den nächsten Blogartikel geschrieben haben möchte.

Stress und Anspannung
Wenn wir viel zu tun und das Gefühl haben, dass die Stunden uns nur so davon laufen, nehmen wir die Zeit anders wahr, als wenn wir nichts auf der To-Do-Liste haben. Zeitdruck spielt, wie in den Forschungsarbeiten gezeigt, eine wichtige Rolle, wenn es um unser Zeitgefühl geht.

Die Zeit vergeht also in Wirklichkeit nicht schneller. Wir nehmen es nur so wahr, aufgrund von verschiedenen Einflussfaktoren. Ich versuche mich nach Zeiten der Anspannung mit etwas zu belohnen, dass mich wieder an einen Punkt bringt, an dem ich meine Zeit genießen kann. Beispielsweise ein Kurzurlaub oder einfach einen schönen Abend mit Freunden verbringen. Ich finde es einfach zu schade, von Termin zu Termin zu hetzen und die Zeit an mir vorbei fliegen zu lassen. Falls du dich nach einer Phase des intensiven Zeitdrucks belohnen willst, versuche doch auch mal dir ein schönes Erlebnis zu bescheren. Du könntest dir zwar auch eine neue Uhr kaufen, aber Materialismus macht ja bekanntlich auf Dauer nicht glücklich!

Quellen:

Friedman, W.J. and S.M.J. Janssen. 2010. Aging and the speed of time. Acta Psychologica 134: 130-141.

Janssen, S.M.J., M. Naka, and W.J. Friedman. 2013. Why does life appear to speed up as people get older? Time & Society 22(2): 274-290.

Wittmann, M. and S. Lehnhoff. 2005. Age effects in perception of time. Psychological Reports 97: 921-935.

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