Wahrnehmung

Haben Fettleibige eine verzerrte Wahrnehmung?

Das was wir denken, hat einen enormen Einfluss auf die Wahrnehmung unserer Umwelt. So wirken Türen nachweislich kleiner, wenn man breite Schultern hat und weiter, wenn man schmale Schultern hat. Genauso nehmen übergewichtige Menschen Entfernungen weiter wahr, als nicht übergewichtige Menschen. Aber es steckt sogar noch ein bisschen mehr dahinter.

Sind Entfernungen immer gleich?

Wer kennt es nicht? Häufig sitze ich auf der Couch und schaue gerade eine meiner Lieblingsserien. Ich habe ein Glas Wasser und eine Tüte Chips auf dem Tisch vor mir stehen und lausche gespannt den wenigen aber Bedeutungsträchtigen Worten von Leroy Jethro Gibbs, da klingelt plötzlich das Telefon. Ich weiß genau, dass dieses verdammte Telefon nur drei Schritte weit entfernt ist, aber… es sind drei Schritte. Das Telefon könnte für mich in diesem Moment auch in China stehen, dann wäre es gefühlt gleich gut erreichbar.

Wahrnehmung der Umwelt

Aber was hat die Geschichte jetzt mit der Psychologie zu tun? Die Wahrnehmung der Umwelt, ist einer der zentralen Ansatzpunkte psychologischer Forschung. Wie nehmen wir unsere Umwelt wahr? Lässt sie sich überhaupt erfassen oder ist sie nur ein interpretiertes Bild unserer Selbst? Neben zahlreichen philosophischen Ansätzen, gibt es auch harte Forschungsergebnisse bezüglich der Wahrnehmung unserer Umwelt.

So ließ es sich beispielsweise nachweisen, dass kleine Menschen die tatsächliche Größe von Gegenständen in der Regel überschätzten und große Menschen unterschätzten. In einem anderen Experiment wurden Versuchspersonen Gegenstände außerhalb der Reichweite hingestellt. Die Entfernung des Gegenstandes zu der Person wurde kleiner eingeschätzt, wenn die Person über ein Hilfsmittel, wie einen Greifer, verfügte. Hätte ich also ein Band an meinem Telefon gehabt, mit dem ich das Telefon zu mir hätte ziehen können, wäre mir die Entfernung zwischen mir und dem Telefon deutlich niedriger vorgekommen, als sie es eigentlich tatsächlich war.

Einfluss der Selbsteinschätzung

Die Selbsteinschätzung hat also scheinbar einen maßgeblichen Einfluss auf unsere Selbstwahrnehmung und auf unsere wahrgenommene Umwelt. Dementsprechend wurde eine neue Studie durchgeführt, in der herausgefunden werden sollte, in wie fern die angenommene Körperform und -gewicht einen Einfluss auf die Einschätzung von Entfernungen hat.

Experiment zur Einschätzung von Entfernungen

In diesem zehnminütigen Experiment wurden die Probanden gebeten, von einer vorher markierten Stelle, die Entfernung eines Gegenstandes einzuschätzen. Dieser wurde vier mal verstellt ohne dass die Probanden dies sehen konnten. Jede Versuchsperson musste also vier Einschätzungen abgeben. Im Anschluss sollte jede Person Fragebögen ausfüllen. Auf einem Fragebogen wurde das Körperbild abgefragt, wozu den Versuchspersonen eine Aneinanderreihung von Menschen mit verschiedenen Körperformen gezeigt wurden. Die erste Person wahr sehr dünn und die letzte Person sehr dick. Im Anschluss an die unvoreingenommene Selbsteinschätzung, wurde jede Versuchsperson tatsächlich vermessen und gewogen, um einen Vergleichswert zu schaffen.

Ergebnisse Entfernungswahrnehmung

Die Ergebnisse waren eindeutig, diejenigen mit höherem Körpergewicht, schätzten die Entfernung des Gegenstandes größer ein, als diejenigen mit geringem Körpergewicht. Es gab allerdings keine signifikanten Ergebnisse bezüglich des Körperbildes und der Wahrnehmung der Entfernung. Dies lässt darauf schließen, dass es bei der Wahrnehmung von Entfernung weniger auf die Einschätzung des eigenen Körperbildes, als um klare physische Faktoren geht.

Dieser Einfluss des Körpergewichts auf die geschätzte Entfernung erhöhte sich mit der tatsächlichen Entfernung des Gegenstandes. Diejenigen, die also ein hohes Körpergewicht hatten, überschätzten die Entfernung des weit entfernten Gegenstandes stärker, als die Entfernung des eher nahen Gegenstandes. Der Schätzfehler vergrößerte sich also mit zunehmender Entfernung. Dabei gab es keine Geschlechtsunterschiede.

Was heißt das jetzt für uns?

Ich persönlich wäre davon ausgegangen, dass die Wahrnehmung des eigenen Körpers als unter-, normal- oder übergewichtig einen starken Einfluss auf die eingeschätzte Entfernung hätte. Hiermit hat mich die Studie überrascht, weshalb ich sie hier vorstellen wollte.

Sie impliziert, dass Entfernungen von Menschen nach dem erforderlichen Energieaufwand eingeschätzt werden. Interessant ist nämlich unter anderem, dass zwar das Körpergewicht einen starken Einfluss auf die Fehleinschätzung hatte, der BMI aber hatte, wenn auch nur knapp, keinen signifikanten Einfluss auf die Einschätzung. Obwohl BMI und Körpergewicht stark zusammenhängen, gibt es doch Unterschiede. So stellt der BMI das Körpergewicht im Verhältnis zur Körpergröße dar, wohingegen das Körpergewicht einfach nur das Gewicht darstellt, ohne es ins Verhältnis zu setzen. Jemand der 80kg auf 1,60m wiegt, hat einen deutlich höheren BMI als jemand der das selbe bei 1,80m wiegt. Dass der BMI allerdings keinen Einfluss hatte zeigt auch, dass es vermutlich keinen Unterschied zwischen funktionalem Körpergewicht (Muskeln) und nicht funktionalem Körpergewicht (Fett), gibt. Einzig und allein die zu bewegende Masse zählt. Dies lässt sich zum Beispiel auch im Tierreich beobachten. So nehmen Elefanten teilweise einen langen Umweg auf sich um dem Bewältigen einer Steigung zu entgehen.

Aber es gibt noch weitere Auswirkungen die sich durch diese Studie ableiten lassen. Übergewichtige wissen in der Regel, dass sie übergewichtig sind. Spätestens der Arzt wird dies ab einem gewissen Punkt kommunizieren. Das diese Menschen aber dann dennoch häufig Probleme damit haben ihr Leben zu verändern und beispielsweise Sport zu machen, könnte sich mit dieser verschobenen Wahrnehmung erklären lassen. An und für sich ist die Entscheidung eine Strecke nicht zu gehen, weil dies unverhältnismäßig viel Energie verbrauchen würde, äußerst rational. In unseren Urzeiten musste Energie schwer erbeutet werden und teilweise lange halten. Des Weiteren haben andere Studien gezeigt, dass nicht nur Entfernungen als weiter wahrgenommen werden, sondern auch Treppen als steiler. Es wirkt somit naheliegend, dass für jemanden der eine Treppensteigung als steiler empfindet, lieber den Aufzug nimmt, als jemand, der die Treppensteigung für weitaus flacher empfindet.

Die Erkenntnisse stellen uns vor interessante Herausforderungen. Weil das empfundene Körperbild scheinbar keinen Einfluss auf die Schätzung von Entfernungen hat, scheint dies ein Effekt zu sein, der nicht bewusst beeinflussbar ist. Dies kennen wir unter anderem von optischen Illusionen, die noch immer bestehen, obwohl wir genau wissen, dass es eine optische Illusion ist. Genau solch eine Illusion stellt die veränderte Einschätzung von Entfernungen auf Grundlage des Körpergewichts dar. Ein scheinbar nahezu unerschütterlicher Effekt. Ungefähr so unerschütterlich, wie die Wahrnehmung von schwarzen Punkten an den Schnittstellen der weißen Linien des folgenden Bildes. Jede einzelne „Kreuzung“ ist jedoch weiß.

optische_täuschung

Fazit Wahrnehmungsfehler von Entfernungen

Der Energieaufwand, eine Strecke hinter sich zu bringen, steigt mit dem Körpergewicht. Hieran besteht kein Zweifel. Wenn es darum geht, an dem Verhalten von übergewichtigen Menschen positive Einflüsse zu nehmen, sollten diese Faktoren berücksichtigt werden. Die Menschen haben es nicht nur wegen ihrer körperlichen Konstitution schwerer, sie haben auch noch eine Wahrnehmung, die ihnen Herausforderungen als größer darstellt als sie sind. Es darf also nicht nur an Tagesplänen gearbeitet werden, sondern auch die Selbstwirksamkeitserwartung derjenigen, die Gewicht verlieren möchten, muss gestärkt werden. Es sollte ihnen klar gemacht werden, dass sie es schaffen können, auch wenn es schwer aussieht. Das Gehirn spiele ihnen einen Streich und sie hätten keine Möglichkeit den Spitzfindigkeiten des Gehirns zu entgehen, sie sollten es allerdings versuchen.

Danke für das Lesen des Blogartikels. Habt ihr Meinungen oder Fragen zu diesem Thema? Wenn ja, würde ich mich freuen, dies mit euch in den Kommentaren zu diskutieren.

Quelle:
Sugovic, M., Turk, P., & Witt, J. K. (2016). Perceived distance and obesity: It’s what you weigh, not what you think. Acta psychologica, 165, 1-8.

 

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