Nach den Naziverbrechen des dritten Reiches hieß es in Amerika häufig „The Germans are different“ (Die Deutschen sind anders). Damit spielten die Menschen auf die vermeintliche Obrigkeitshörigkeit der Deutschen an, die nur durch ethnische Gründe erklärt werden könnte. Stanley Milgram wollte dieser These aus dem Volksmund aufgreifen und experimentell untersuchen. Sollten die Folgen des NS Regimes tatsächlich auf eine ethnische Komponente zurückzuführen sein, oder kann tatsächlich jeder Mensch einer derartigen Obrigkeitshörigkeit unterliegen? Somit war das Experiment geboren, welches später als „Milgram Experiment“ in die psychologische Geschichte eingehen würde.
Er inserierte also in der Zeitung, dass er Menschen für einen Versuch brauchte. Er bot ihnen eine angemessen Aufwandsentschädigung und Fahrtkosten an. Wenn die Personen, immer nur zwei pro Durchlauf, eintrafen wurden sie in den Versuchsablauf eingewiesen.
Ablauf Milgram Experiment
In dem Versuch würde es einen Schüler und einen Lehrer geben. Der Schüler sollte Aufgaben lösen in dem er Wortpaare bilden musste. Der Lehrer sollte die Aufgaben vorlesen und den Schüler bei jedem Fehler mit einem Stromschock bestrafen. Um die Auswirkungen deutlich zu machen, wurden beide Versuchspersonen vor dem Experiment mit 45 Volt geschockt. Nach jeder falschen Antwort, würde die Voltzahl durch den Lehrer um 15 erhöht werden. Im Anschluss wurde gelost, wer Schüler und wer Lehrer sein würde.
Die Versuchsperson wusste allerdings nicht, dass die andere vermeintliche Versuchsperson im Milgram Experiment nur ein Mitarbeiter des Versuchsleiters war. Die Losziehung war also fingiert und die tatsächliche Versuchsperson wurde immer zum Lehrer gekürt. Der Mitarbeiter des Experimentalleiters war in Wirklichkeit ein amerikanischer Schauspieler. Er wurde instruiert immer einen heiteren und ausgelassenen Charakter, den man einfach mögen musste, zu zeigen, sodass keine Antipathie gebildet werden konnte. Der Schauspieler fragte noch, ob es denn für ihn kein Problem darstellen würde, weil er ja einen Herzfehler hätte und der Herzschrittmacher vielleicht mit dem Strom nicht klar käme. Der Experimentalleiter sagte allerdings, dass dies sicherlich kein Problem darstellen würde und ging mit dem Lehrer in ein Nebenzimmer.
Dieses Nebenzimmer war komplett abgeschottet von dem Schauspieler. Sie konnten nur durch Mikrofone miteinander kommunizieren. Der Lehrer saß vor einem Apparat, wo er die Voltzahlen durch kleine Hebel schrittweise erhöhen konnte. Über den Hebeln stand die neue Voltzahl und über dem letzten Hebel stand „XXX“. Es war deutlich, dass der letzte Hebel wohl den Tod für die Versuchsperson bedeuten würde.
Zum Anfang des Milgram Experiment, antwortete der Schauspieler in der Regel richtig auf die Fragen, wenn er jedoch mal einen Fehler machte, wurde er geschockt. In den niedrigen Voltzahlen war allenfalls mal ein leichtes Stöhnen oder ein unterdrückter Aufschrei zu hören. Mit steigender Voltzahl wurde das Leiden der vermeintlichen Versuchsperson mit Herzproblemen allerdings immer größer. Er schrie, dass er nicht mehr an dem Experiment teilnehmen wolle und das es ihm nicht gut ginge. Er bat die andere Versuchsperson förmlich darum aufzuhören, die Schmerzen wären zu groß. Wenn die Versuchsperson den Experimentalleiter, der sich, im selben Raum etwas abseits sitzend, Notizen machte, fragten ob sie aufhören sollen oder könnten, weil der Schüler nicht mehr wolle, sagte der Experimentalleiter: „Führen Sie bitte fort, das Experiment muss fortgeführt werden.“. Die Versuchspersonen machten dann weiter und der Schauspieler wimmerte vor schmerzen. Irgendwann protestierte er und sagte, dass er jetzt nicht mehr antworten würde. Irgendwann wurde es in dem Zimmer still und nicht einmal mehr die verzerrten Schreie waren vernehmbar. Auch jetzt fragten wieder viele Versuchspersonen ob sie aufhören könnten, wohingegen ihnen gesagt wurde, dass sie fortführen müssten.
Ergebnis des Milgram Experiment
Viele Versuchspersonen machten also weiter, stellten fragen und schockten den vermeintlichen Mitstreiter wenn keine Antwort kam. Viele gingen sogar so weit, das sie den letzten Stoß verpassten, der wohl mit aller Wahrscheinlichkeit fatal für die andere Versuchsperson war. Mit anderen Worten: Die Versuchspersonen haben bereitwillig den tödlichen Stromstoß verabreicht.
Nachdem die Situation aufgelöst wurde und die Versuchspersonen den gesunden Schauspieler sahen, ihnen gesagt wurde, dass sie niemandem schmerzen zugefügt haben, wurden sie gefragt, warum sie weiter gemacht haben. Viele sagten, dass sie einfach nur den Anweisungen folgten.
Fazit Milgram Experiment
Für Stanley Milgram brachte das Milgram Experiment also interessante Ergebnisse ein. Die Obrigkeitshörigkeit der Deutschen zu Zeiten des dritten Reichs waren nicht die Folge einer angeborenen Obrigkeitshörigkeit. Das Experiment zeigt eindeutig, dass jeder Mensch, jeglicher Nationalität und Herkunft, durch die passenden äußeren Umstände zum Morden im Stande ist. Die Erkenntnis der Teilnehmer, dass sie wie die Nazis zu Mördern wurde, weil ein Mann im weißen Kittel dies sagte, führte zu einer Identitätskrise mit fatalen Folgen. Viele hatten lange Zeit zu kämpfen um wieder mit sich ins Reine zu kommen, andere haben eine Postraumatische Belastungsreaktion ausgebildet, einige berichten sogar davon, dass sich Menschen wegen dieses Experiments getötet hätten. Sie konnten nicht mit der Erkenntnis leben, dass sie Mörder gewesen wären.
Das Experiment zeigt auch die Wichtigkeit der Aufarbeitung der Geschichte auf. Wir alle stehen in der Pflicht ein Umfeld zu schaffen, indem Mord keine Option darstellt. Wir alle haben die Pflicht unrecht zu tadeln und zu vermeiden. Ansonsten steht Tür und Tor offen für einen weiteren Unrechtsstaat, unabhängig von Nationalität oder Regierungsform. Das Milgram Experiment hat dies eindeutig bewiesen.